So war Christine Werzner im Sommer 2009 Gast der Sommerakademie und hatte sich einen einwöchigen Kurs für Performance ausgewählt. Nun ist Performance nicht gleich Performance könnte man sagen und sie stellte fest, dass diese Richtung nicht ihren Erwartungen entsprach. So kam sie zu mir und fragte mich, ob sie nicht in einen anderen Kurs wechseln könnte. Dabei saß sie vor mir und sprudelte nur so vor Ideen, was ihr alles gefallen würde und was sie sich alles vorstellen könnte: Bildhauern würde sie gern, Malen oder Zeichnen wäre schön oder Schmuckgestaltung immer schon ihr Steckenpferd. Aus dieser großen Bandbreite einigten wir uns letztlich auf den Wechsel zum Illustrationsangebot Ich glaube dort war sie glücklich und collagierte in kürzester Zeit die Geschichte „Der unaufhaltsame Aufstieg der Kätzin Sputnik“. Eine wunderbare Kinderbuchvorlage, die sich ohne Worte allein durch die Bilder erschließt und die Sie aktuell hier in der Ausstellung bewundern können.
Und als ich dann im gleichen Jahr an die Volkshochschule Chemnitz als Fachbereichsleiterin für Kunst und Kultur wechselte, stellte ich mit Freude fest, dass ich einen Namen in der langen Dozentenliste kannte: „Christine Werzner“, die schon seit einigen Jahren dort als Dozentin fürs Schneidern und Modedesign tätig war. So hatten wir gleich eine kreative Verbindung und die hält bis heute an. Mein erstes Treffen mit ihr spiegelt wieder, welche Bandbreite CW ausfüllt und die sich auch in ihren zahlreichen Bezeichnungen, die sie für sich in Anspruch nehmen kann, ausdrückt:
Modedesignerin, Grafikerin und Kreativpädagogin.
Und das alles trifft es immer noch nicht vollständig. Theater, Tanz, Performance oder Choreografie gehören ebenfalls zu ihren Leidenschaften. Mit unermüdlicher Energie schafft sie Verbindungen zwischen diesen Genres. Ihr Schaffensdrang ist so groß und die Ideen scheinen ihr nie auszugehen, dass ich mich manchmal frage, ob ihr Tag mehr als 24 Stunden hat.
„Gestandenes Handwerk mit Mode und Kunst“ das ist ihr Motto und das lebt sie voll und ganz. CW hätte sich für Ihre Interessen kein besseres Metier als die Mode bzw. Kleidung aussuchen können. Hier konnte sie alles gestalten und ausdrücken, was ihr im Laufe ihres Lebens wichtig erschien und immer noch erscheint.
Wie kam sie überhaupt dazu? Geboren und Aufgewachsen ist CW in einem sehr musischen Elternhaus im erzgebirgischen Rauenstein. Vor allem die Mutter unterstützte ihre kreative Seite und so begann mit einer Ausbildung zur Herrenmaßschneiderin. Nach drei Jahren konnte sie gleich in der Industrie praktische Erfahrungen sammeln. Damit aber nicht genug, sie wollte Studieren und verließ die Berliner Hochschule nach weiteren drei Jahren als Diplom-Designerin. Die Absolventen waren in der Industrie sehr begehrt und sie konnte gleich im Bekleidungswerk Lößnitz eine leitende Funktion übernehmen, als der Auftrag kam, die Jeans der DDR zu produzieren. Wie in vielen Lebensläufen kamen private Auszeiten dazwischen: CW pflegte ihre Eltern und bekam zwei Söhne.
Nach der Wende erfand sie sich neu: Meinte sich erstmal von der Mode verabschieden zu müssen, die ihr zu kommerziell geworden war und absolvierte 1994 ein Studium an der Universität Wuppertal „Marketing und Management.“ Ein Plauener Unternehmer brachte sie zurück zur Mode und beauftragte sie mit einer Spitzenkollektion, für die sie auch gleich wieder einen Modepreis erhielt.
Seit 1998 ist CW also als selbständige Modedesignerin tätig und bringt unter dem eigenen Label „CW“ zwei Kollektionen im Jahr raus. Vom Entwurf bis zum Vertrieb macht sie alles selbst. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch hochwertige Stoffe und Materialien aus. Hochwertiges Handwerk verbindet sie mit Individualität und Exklusivität. Dennoch ist ihr auch das nicht genug: Sie arbeitet gerne mit Menschen und möchte ihr Wissen weiter geben. Sie scheut sich selbst nicht vor „Lebenslangem Lernen“. Stillstand kennt sie nicht. So studierte sie 2001 in Leipzig Kreativpädagogik und Kunsttherapie. 2008 beendet sie den begehrten dreijährigen Lehrgang „Gestalter im Handwerk“ an der IHK Chemnitz. Nun hat sie endgültig das Rüstzeug, um Mode, Gestaltung und mit den Künsten des Tanzes und Theaters zu verbinden. Die Kleidung und Mode können so viel mehr, als nur dem Konsum dienen.
CW befreit sich vom Druck der Produktion zweier Kollektionen, die an die Frau gebracht werden müssen. Sie schafft mittlerweile ein Gesamtkunstwerk aus Kleidung, Mode, Theater und Kunst. – wie auch in dieser Ausstellung zu sehen: Auch wenn diese Ausstellung nur einen Bruchteil ihres gesamten Schaffens zeigen kann, so zeugen die hier ausgestellten Werke doch von ihrer Vielseitigkeit und breitem Repertoire. Zum einen sehen Sie ihre Modegrafiken, die jede Designerin zur Visualisierung ihrer Ideen und Entwürfe benötigt. Sie stehen am Anfang einer jeden Kollektion. Aber auch diese Zeichnungen sind schon freier gezeichnet als es allgemein für Entwurfszeichnungen üblich ist. Und es wird deutlich, dass Modezeichnungen als eine eigene Kunstform Bestand haben, in der sich Kunst und Mode wunderbar miteinander verbinden. CW nutzt sämtliche Techniken, Aquarellskizzen, Farbstifte bis hin zur weißen Kreidezeichnung auf schwarzem Karton. Das grafische Modezeichnen hat CW längst verlassen. Ihre Figurinen werden zu Prinzessinnen, Feen oder Harlekine. Dem leichten dahinwerfen einer Skizze oder Zeichnung einer menschlichen Figur gehen eine große Disziplin und Übung voraus: Das Handwerkszeug einer jeden Modedesignerin ist das Aktzeichnen. Nur hier erarbeitet man sich das Verständnis für Körperproportionen, Bewegungen und Verkürzungen der Glieder. Danach erfolgt das Experimentieren mit Materialien und künstlerischen Ausdruckformen: Ein schönes Beispiel ist der „Liegende Akt im Eis“ Die Künstlerin sah in ihrer Phantasie im Eis eine Frauenfigur, die sie mit Seidenpapier nachdrapierte und mit Licht beleuchtete, um die Transparenz noch deutlicher zu betonen. Auch mit Keramik schafft sie statt typische Gefäße: zwei Köpfe, die den Pessimisten und den Einfältigen darstellen. Einige Kreationen sehen wir auf den Figuren. Verschiedene Materialien mit denen Sie experimentieren kann, wie z. B. Filz oder Spitze stehen bei ihr hoch im Kurs. Kleidung ist Hülle unseres Körpers, eine sogenannte zweite Haut. Aber sie ist auch ein Kommunikationsmittel. Wir treten durch sie in Dialog mit unserer Umwelt, ob wir wollen oder nicht. Selbst wenn jemand meint, mit Mode habe ich nichts zu tun: Mag schon sein, aber unsere Kleidung ist immer eine Wahl und erzählt etwas über uns. Wir verhüllen oder offenbaren uns. So sehen wir auch Kleidung, die nicht unbedingt alltagstauglich ist, die selbst zur Skulptur wird. Einige Kreationen sind für Wettbewerbe und Ausschreibungen entstanden, an denen sich CW beteiligt hat und für die sie Auszeichnungen erhielt. So entstanden spannende Designs aus Papier, Metall oder innovativen Stoffen wie Glasfaser in Kombination mit Organza. Ihre Auszeichnungen und Preise motivieren sie und bestärken sie auf ihrem Weg. Klassische Catwalks interessieren CW nicht. Sie inszeniert Modeperfomances für Kulturevents aller Art. Vor allem mit Kindern und Jugendlichen inszeniert und kreiert sie für Projekte Theater– oder Modeperformances. Und mit dem Italiener Giorgio Furlan entwickelt sie mehrfach Theaterstücke von der Kostümgestaltung, Maske bis hin zur Choreografie und Aufführung. Damit nicht genug: Ihr eigenes Brennen für das Kreieren von Kleidung gibt sie seit Jahren an Kunst– und Modeschulen sowie den regionalen Schulen und Volkshochschulen weiter.
Und wie erfolgreich Sie das macht, davon zeugen immer wieder die Dankesbriefe und Mails von Teilnehmerinnen jeden Alters, die mich an der VHS Chemnitz erreichten. Sie schafft es ihren Enthusiasmus für das Textile Handwerk weiter zu geben. Und solche positiven Rückmeldungen machen glücklich. 2012 / 2013 stellt sie sich, der auch für Sie neuen Herausforderung und erarbeitet in einem Projekt mit behinderten Menschen ein Theaterstück mit Kostümen und Masken aus Papier unter dem Titel: "Kunst und Behinderung, geht das?" Es stellte sich heraus, es ging sehr gut. Eine gute und neue Erfahrung für alle Beteiligten, wie sich zeigte.
Die Kunst der Persönlichkeit - so der Titel der Ausstellung – weist auf das allgegenwärtige Thema von CW hin. Der Mensch und seine Persönlichkeit stehen im Mittelpunkt ihres Interesses. Und hier schafft CW die Verbindung zwischen Mode, Kunst und Person zu einem „Gesamtkunstwerk“. Längst hat sich die Künstlerin vom Kommerz und Industrie befreit. Sie ist in bester Gesellschaft und Tradition mit Vertretern des Deutschen Werkbundes wie z. B. Henry van de Velde, der schon um die Jahrhundertwende ein Teekleid für die Dame nach künstlerischen Vorstellungen in Verbindung mit bester handwerklicher Qualität und Materialität entworfen hat. Und bis heute beschäftigt der Austausch von Kunst und Mode führende Modedesigner von Lagerfeld bis Joop und internationale Künstler von Erwin Wurm bis Jeff Koons. Mode und Kunst sind Medien einer Sichtbarmachung kultureller Praktiken, die um Authentizität und Natürlichkeit kreisen. Kleidung und Kunst eine wunderbare Liaison, die so viel über uns Menschen unsere Kultur aussagen. Dinge zu sehen, aufzuspüren und sichtbar zu machen, das inspiriert Künstler. Und CW sprudelt auch weiterhin vor Ideen und durch ihren wachen Blick kann alles für Sie zur Inspiration dienen.
Wir dürfen gespannt sein, wie es weiter geht und wie viele schöne Kreationen, Perfomances oder Theaterstücke wir von CW noch erwarten können.
Ich wünsche mir auf jeden Fall noch viele spannende Ausstellungen von Ihnen liebe Frau Werzner. Dr. Yvonne Schütze, 01.07.2016